Seit ich es als Jugendlicher gelesen habe, geht mir ein bestimmtes
Zitat nicht mehr aus dem Kopf. Insbesondere in Zeiten wie diesen kommt es
verstärkt wieder an die Oberfläche. Es ist aus einem Science-Fiction Roman von
1983 namens Planetaktion Z - Treibjagd im Weltraum von Mark Brandis alias Nikolai
von Michalewsky, einem deutschen Schriftsteller.
Es lautet:
Vernichtet
den Hass
Zerstört das
Vorurteil -
Und die Welt ist
heil!
Ich muss da immer wieder dran denken und ich finde
durchaus Wahres darin. Aber gleichzeitig läuft es mir auch jedes Mal irgendwie
unangenehm den Rücken runter, wenn ich diese Zeilen lese.
Sie passen zu dem Buch, in dem es um überhand nehmende
Vorurteile und unbegründeten Hass ging. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen,
spuckte ein neuer Supercomputer in der Geschichte als Namen für den Täter einer
schrecklichen Gräueltat zunächst ein Z aus, das später zu einem Zig ergänzt
wurde. Die interstellare Öffentlichkeit stürzte sich daraufhin auf die Zigeuner
in der Annahme, sie wären verantwortlich. Nur leider kam dann schlussendlich
heraus, dass der Computer den Täter benennen konnte, der Zigansky hieß, wenn
ich mich richtig erinnere. Da hatte man die Zigeuner aber schon in
Internierungslager gesteckt und der Schaden war angerichtet.
Das Zitat steht am Anfang des Buches. Es wird als
Inschrift zu einem Mahnmal beschrieben, das an diese schreckliche Hetzjagd
erinnern sollte und man versteht es am Ende des Buches. Es ist in gewisser
Weise natürlich inspiriert vom Holocaust und ähnlichen Hetzjagden gegen
Minderheiten aufgrund von Vorurteilen und Fremdenhass. Das dürfte nicht schwer zu
erkennen sein.
Aber da ist etwas an diesen Worten … Etwas, wovon ich
annehme, der Autor hat das so beabsichtigt. Auch wenn es eher Jugendbücher
waren, hatte der nämlich einiges auf dem Kasten und konnte sehr subtil
Gesellschaftskritik verpacken.
Diese Worte, sie sind auf FALSCHE Weise richtig. Sie
stimmen irgendwie, aber die Formulierung ist erschreckend, wenn man mal genau
darüber nachdenkt. VERNICHTET den Hass, ZERSTÖRT das Vorurteil und die Welt ist
REIN.
Ist Vernichtung nicht ein Akt des Hasses und Zerstörung
ein Zeichen des Vorurteils? Kann etwas überhaupt gänzlich rein sein? Sollten
wir uns das eigentlich wünschen? Oberflächlich betrachtet scheint es eine gute
Sache, aber letztlich scheint mir doch, dass die Hasser des Hasses sich nach
gelungener Vernichtung desselbigen dann folgerichtig selbst richten müssten.
Der Kampf gegen das Vorurteil führt allzu leicht zu einer vorurteilsbehafteten Haltung
bei einem selbst. Und wer bestimmt überhaupt, was Vorurteil ist und was
womöglich doch irgendwie berechtigte Ablehnung?
Warum schreibe ich das? Weil ich kein gutes Gefühl dabei
habe, wenn ich die Hasstiraden gegen die Hasstiraden gegen Asylanten lese. Ich
habe auch kein gutes Gefühl bei den Hasstiraden gegen die Asylanten selbst. Ich
habe generell kein gutes Gefühl bei Hasstiraden. Die sind mir zu
fundamentalistisch und auch zu dogmatisch. Keine einseitige Position kann
jemals gänzlich richtig sein, selbst wenn sie sich nominell dem ‚Guten‘
verschrieben hat. Einseitigkeit führt immer zu Diskriminierung. Und ja, auch
die rechtsgerichteten Einwanderungsgegner können diskriminiert werden. Und das
ist ebenso wenig richtig, wie deren Diskriminierung anderer Gruppen.
Wem das jetzt sauer aufstößt, der denkt nicht logisch. Es
ist schließlich die ablehnende Haltung dieser Rechten gegenüber Minderheiten
aufgrund der Tatsache, dass die einfach nur anders sind, gegen die allgemein
Stellung bezogen wird. Was ich an und für sich gut und richtig finde.
Allerdings nicht, wenn es zu einer Haltung wird, die Rechte ablehnt, weil sie
eine andere Meinung vertreten, denn das wäre Diskriminierung. So funktioniert
das nicht, wenn es nicht in einer Spirale des Hasses enden soll, die sich am
Ende selbst in den Schwanz beißt.
Hass mit Hass zu begegnen - dabei kann nichts ‚Gutes‘
rauskommen. Stelle ich mir mal spaßeshalber vor, es gelänge all die Hassprediger
rechter Gesinnung mundtot zu machen oder wegzusperren oder wie auch immer sonst
zu beseitigen, dann … wird mir ziemlich flau im Magen. Nicht weil ich auf
rechte Parolen stehe, sondern weil ich mich dann frage, welche Ziele sich die
siegreiche Bewegung dann sucht. Was wird als nächstes zum Feindbild bestimmt?
Wer muss als nächstes bekehrt oder beseitigt werden?
Daran, dass sich eine Bewegung gleich welcher Art nach
einem ‚Sieg‘ auflöst, glaube ich nicht. Der Feminismus ist auch noch da und
sucht sich immer neue Feindbilder, egal wie absurd sie sein mögen. Warum? Weil
der eigentliche Kampf um die gleichen Rechte gewonnen ist und der
gesellschaftliche Konsens erreicht wurde. Folgerichtig hätten die Kampfgruppen
der Feministinnen keinen Grund mehr weiterzubestehen, wenn nicht künstlich
immer wieder einer erzeugt würde.
Und das ist nur ein Beispiel unter vielen. Jede Bewegung,
die sich einmal radikalisiert hat, weil sie glaubte, anders ihre Ziele nicht
erreichen zu können, legt nicht einfach die Waffen nieder und zerstreut sich
nach getaner Arbeit. Man gewöhnt sich an den ständigen Kampf, auch wenn die
Gewalt vielleicht nicht physischer, sondern psychischer Natur sein mag. Man
gewöhnt sich daran, bei anderen nach Anzeichen Ausschau zu halten, dass sie zum
Feind gehören. Man lernt, selbst wie ein Terrorist zu denken, um die
feindlichen Terroristen zu vernichten, bis man selbst letztlich diese Denkweise
nicht mehr ablegen kann.
Und dann … dann muss eine neue Bewegung entstehen, damit
die neuen Terroristen nicht freie Hand haben. Eben diejenigen, die anfangs für
Freiheit und gegen Unterdrückung kämpften, werden dann nach ihrem Sieg zu den
Unterdrückern und es finden sich Leute, die dagegen vorgehen. Idealisten, die
sich irgendwann notgedrungen radikalisieren und die Spirale der Gewalt
fortführen.
So wird sich aber nichts verändern. Indem die Worte
gegenüber den Asylgegnern und Ausländerhassern immer härter und schärfer
werden, verschärft sich letztlich nur der Konflikt. Kein Mensch, der aus
irgendwelchen Gründen gegen Ausländer ist, sich vor Überfremdung fürchtet oder
um die Erhaltung der eigenen Kultur bangt, lässt sich mit Hasstiraden als
Antwort auf seine Hasstiraden von einer anderen Sichtweise überzeugen. Das
zumindest ist auch ziemlich logisch.
Toleranz bedeutet nicht, sich gegen Intoleranz zu
radikalisieren. Toleranz bedeutet, sich auch gegenüber irrationalen Meinungen verständig
zu zeigen und auch unsinnige Ängste zu respektieren - und dem auf einfühlsame
Weise entgegenzutreten. Toleranz bedeutet, hinter die Kulissen zu schauen und
nicht etwa der Gegenseite die Fresse zu polieren.
Dabei gilt es natürlich, Gewalt in jeder Form zu
verurteilen und zu versuchen, sie zu verhindern. Aber das schafft man nicht,
indem man Gewalt einsetzt. Prävention beginnt da, wo der Gewaltimpuls im
Entstehen begriffen ist und nicht da, wo er ausbricht und zu Taten wird. Und
außerdem gehört zur Prävention auch, die eigene Radikalisierung im Auge zu
behalten und zu verhindern, denn sonst hat man plötzlich zwei gefährlich radikale
Gruppen anstelle von einer.
Diese Idee, die ich da habe, ist nicht neu. Absurderweise
findet sie sich sogar im Christentum. Die Idee der Nächstenliebe und die Sache
mit der anderen Wange sind letztlich nichts anderes als jahrtausendealte
Fassungen genau dieses Gedankens. Was nahelegt, dass schon vor langer Zeit
Leute die Lösung erkannt haben, sie aber der Masse nicht wirklich nahebringen
konnten. Gut erkennbar an dem, was aus dem Christentum trotz einiger guter
Ideen geworden ist, nachdem es sich hinlänglich radikalisiert hatte.
Und da ich nicht dumm bin, erwarte ich nun auch nicht
wirklich, mit meinen Worten etwas zu bewirken. Die Masse der Leute, die sich
über Ausländer oder über Ausländerfeindlichkeit bis zum Gehtnichtmehr ereifern,
sind ganz offensichtlich sehr zufrieden damit, eine Form von Hass ausleben zu
können und einen Sündenbock gefunden zu haben. Zu diesen Leuten könnte ich nur auf
individueller Basis und mit viel Zeitaufwand durchdringen.
Aber vielleicht stehen einige ja selbst gewissermaßen
mitten auf der Frontlinie und zweifeln am gesunden Menschenverstand beider
Seiten. Vielleicht gibt es noch andere, die zwar die Ablehnung gegenüber
Gewaltparolen der einen Seite teilen, die antwortenden Hasstiraden der anderen
Seite aber ebenfalls nicht mögen. Vielleicht hilft das hier jemandem weiter,
der sich nicht einfach auf die Seite des ‚Guten‘ schlagen mag, wenn dieses ‚Gute‘
mit der gleichen Art von Knüppel arbeitet, wie das ‚Böse‘.
Ich für meinen Teil kann da nicht mitspielen. Ich glaube
an Meinungsfreiheit, auch wenn die Meinung in meinen Augen bescheuert ist. Ich
bin gegen Gewalt, und zwar auch gegen deren psychische Variante. Deswegen lehne
ich die Herangehensweise der Ausländerfeinde ab, aber die Auswüchse, die das Getue
von deren Gegnern annimmt, ebenso.
Wenn jemand Angst vor Überfremdung hat, muss ich das
akzeptieren. Ich muss es nicht unterstützen und ich lebe glücklicherweise in
einem Land, in dem diese Art konservativer Haltung keine Mehrheit mehr hat,
aber ich muss die Existenz dieser überalterten Sichtweise ganz einfach
akzeptieren. Ich kann, will und werde mich nicht an Hexenjagden beteiligen,
weil ganz einfach niemand
eine Hexenverbrennung verdient hat. Nicht einmal der fieseste, schlimmste Neo-Nazi.
Ja, nicht einmal ein pädophiler Kindermörder vom Format eines Luis Alfredo
Garavito Cubillos.
Um mir selbst im Spiegel in die Augen sehen zu können,
muss ich zuallererst einmal selbst die Regeln einhalten. Ich verweigere mich
dem Hass in mir und stelle mich meinen Vorurteilen entgegen. Ich leugne nicht,
dass beides in mir steckt. Ich bin ein Mensch und habe reichlich Schwächen.
Aber als Mensch habe ich auch meinen eigenen, freien Willen und kann
entscheiden, nicht meine Angst, meine Vorurteile und meinen Hass über mein Leben
bestimmen zu lassen.
Das alles ist mein ganz persönlicher und eigener
Standpunkt zu den Dingen, die momentan in all den sozialen Netzwerken passieren
und durch die Medien geistern. Den Dingen, die mich dazu bringen, traurig den
Kopf zu schütteln, weil sie einfach an allen Problemen vorbeigehen und im
Endeffekt nur wieder eine Form der modernen Blutfehde sind.
Ich kommentiere dazu selten und wer sich gefragt hat
wieso, versteht es jetzt vielleicht. Oder auch nicht. Ich erwarte das nicht,
denn ich habe bereits bei Hardcore-Christen, feministischen Fundamentalisten und
Literaturkritikern, welche die eine, objektive Wahrheit zu kennen glauben,
meine Lektion gelernt. Aber so ganz unkommentiert kann ich es offenbar doch
nicht stehen lassen, wie man sieht.
Vernichtet
den Hass
Zerstört das
Vorurteil -
Und die Welt ist
heil!
Darauf will ich noch einmal zurückkommen, denn das ist
es, was sich irgendwie immer beide Seiten in jeder Meinungsverschiedenheit auf
die Fahne zu schreiben scheinen. Beide Seiten glauben so fest daran, dass sie
absolut recht haben. Sie sind von der Reinheit ihrer Sichtweise völlig
überzeugt.
Aber die Wahrheit ist, dass es niemals eine absolut
richtige Seite gibt. Die Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters und
vermutlich auch immer zumindest ein wenig in der Grauzone zwischen den absoluten
Positionen. Objektive Richtigkeit ist ein Mythos, an den nur zutiefst
subjektive Menschen glauben können.
Deswegen stehe ich auf keiner Seite in diesem Konflikt
und klinke mich aus, wenn die Auseinandersetzung zu radikal wird. Und deswegen
rate ich auch allen anderen, sich mal zurückzunehmen und tief durchzuatmen.
Allen anderen,
egal auf welcher Seite sie sich einsortieren. Ihr dreht gerade so ziemlich alle
durch, liebe Leute.
In diesem Sinne …
… fröhliches Weiterstreiten mit dem ideologischen
Erzfeind auf nicht sehr hohem Niveau.